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Tegan wischte seine blutverschmierte Klinge an der Jacke des toten Rogue ab und beobachtete müßig, wie sich die letzte Leiche in der Gasse in kürzester Zeit auflöste. Diese postmortale Aufräumarbeit hatte Tegan seinen Titanwaffen zu verdanken.

Das Metall wirkte sich auf die verseuchte Zellstruktur von Stammesvampiren, die zu Rogues mutiert waren, wie giftige Säure aus. Die drei Leichen zersetzten sich im Schnee, von Fleisch, Knochen und Kleidern blieben auf dem makellosen Weiß nur dunkle Ascheflecken übrig.

Tegan stieß einen Fluch aus, seine Sinne vibrierten immer noch von der Hitze des Kampfes. Seine kampfgeschärften Augen fielen auf das Messer, das Elise bei dem Rogueangriff verloren hatte. Tegan ging hinüber, um die Waffe zu holen.

„Lieber Himmel“, murmelte er, als er die Klinge vom Schnee aufhob. Das war kein mickriger Dolch, den eine Frau zu ihrem Schutz mit sich herumtragen mochte, sondern eine professionelle Waffe. Über fünfzehn Zentimeter lang, mit eingeschliffenen Zacken am oberen Ende der Spitze, und wenn er sich nicht täuschte, war das Metall kein einfacher Karbidstahl, sondern roguefressendes Titan.

Was wieder die Frage aufkommen ließ: Was zum Teufel hatte eine Frau aus den Dunklen Häfen allein, blutbespritzt und mit professionellen Waffen ausgerüstet auf der Straße zu suchen?

Tegan hob den Kopf und witterte, suchte ihren Duft. Er brauchte nicht lange, um ihn zu finden. Seine Sinne waren von der akuten Genauigkeit eines Raubtiers, und der Kampf schärfte sie noch mehr, ließ sie aufleuchten wie Laserstrahlen. Er sog ihren Duft von Heidekraut und Rosen in seine Lungen und ließ sich von ihm tiefer in die Stadt führen.

Die Duftspur verflüchtigte sich bei einer heruntergekommenen Mietskaserne in einem der desolateren Viertel der Stadt, wo die Wohnungen billig waren. Kein Ort, an dem man erwarten konnte, eine Frau aus guter Familie wie Elise zu finden, die in einem Dunklen Hafen aufgewachsen war. Aber ohne jeden Zweifel war sie hier in diesem graffitiüberzogenen Schandfleck aus Ziegeln und Waschbeton, da war er sich ganz sicher.

Er schlich die Treppe hinauf und runzelte die Stirn beim Anblick der schwachen Haustür mit dem aufgebrochenen Schloss.

In der Vorhalle scharrten seine Stiefel auf abgetretener, fleckenübersäter Auslegeware, die nach Urin, Dreck und jahrzehntelanger Vernachlässigung stank. Linker Hand führte eine ausgetretene Holztreppe hinauf, aber Elises Duft kam von der Tür am Ende des Korridors im Erdgeschoss.

Tegan ging auf die Wohnungstür zu. Das Wummern von Musik vibrierte in Boden und Wänden, auch einen Fernseher konnte er hören. Es war ein ohrenbetäubendes Bombardement von Hintergrundlärm, der lauter zu werden schien, je mehr er sich Elises Wohnung näherte. Er klopfte an die Tür und wartete.

Nichts geschah.

Wieder klopfte er, schlug hart mit den Knöcheln gegen das schartige Metall. Nichts. Vermutlich konnte sie bei dem Krach in ihrer Wohnung auch gar nichts hören.

Vielleicht sollte er gar nicht hier sein, sich nicht in die Angelegenheiten dieser Frau verwickeln lassen, was auch immer es war, das sie an diesen üblen Ort gebracht hatte. Tegan wusste, dass es ihr seit dem Verschwinden und dem Tod ihres Sohnes ausgesprochen dreckig gegangen war. Camden war von Elises eigenem Schwager Sterling Chase getötet worden, als der Junge in voll ausgebrochenem Blutrausch vor dem Dunklen Hafen aufgetaucht war. Soweit Tegan das mitbekommen hatte, war Camden eben dabei gewesen, Elise anzugreifen, als Chase ihn mit ein paar Titangeschossen niedermähte - direkt vor ihren Augen.

Nur Gott allein konnte wissen, was es in der Frau ausgelöst hatte, den Tod ihres Sohnes mit ansehen zu müssen.

Aber das ging ihn nichts an.

Verdammt, es war nicht sein Problem. Also, warum stand er hier in dieser stinkenden Mietskaserne mit seinem Schwanz in der Hand, und wartete darauf, dass sie kam und ihn reinließ?

Tegan besah sich die zahlreichen Schlösser an der Wohnungstür. Zumindest die funktionierten offenbar, und sie hatte auch die Geistesgegenwart besessen, sie von innen abzuschließen. Aber für einen Stammesvampir von Tegans Macht und Abstammung dauerte es nur zwei Sekunden, sie mit bloßer Willenskraft zu öffnen.

Er schlüpfte in die Wohnung und schloss die Tür wieder hinter sich. Von der Dezibelstärke in der kleinen Einzimmerwohnung platzte ihm fast der Kopf. Stirnrunzelnd sah er sich um, nahm die seltsame Einrichtung in sich auf. Die einzige Möblierung bestand aus einem Futon und einem Bücherregal, in dem eine hochwertige Stereoanlage und ein kleiner Flachbildschirmfernseher standen - beide waren eingeschaltet und plärrten in voller Lautstärke.

Neben dem Futon, in einem Teil des Raumes, wo man normalerweise eine Essecke vermuten würde, standen zwei Fitnessgeräte: ein Stepper und ein Crosstrainer. Daneben lag Elises blutgetränkter Anorak auf dem Boden, und auf dem ramponierten gelben Küchenblock lagen ein Handy und ein MP3-Player.

Elises Einrichtungsstil mochte einiges zu wünschen übrig lassen, aber was Tegan am meisten wunderte, war die Wahl ihrer Wandverkleidung.

An allen vier Wänden der Einzimmerwohnung waren unbeholfen akustische Dämmplatten aus Schaumgummi angenagelt- Schallisolierung. Unmengen von dem Zeug bedeckten jeden Quadratzentimeter der Wände, Fenster und sogar die Innenseite der Zimmertür.

„Was zum Teu…“

Im Raum nebenan wurde mit einem abrupten metallischen Quietschen die Dusche abgestellt. Tegan drehte sich zur Tür, die sich einen Augenblick später öffnete. Elise zog einen dicken, weißen Frotteebademantel um sich, als sie den Kopf hob und ihm in die Augen sah. Sie keuchte überrascht auf, fuhr sich mit einer zarten Hand an den Hals.

„Tegan.“ Ihre Stimme war im Höllenlärm der Musik und dem Geplärr des Fernsehers fast nicht zu hören. Sie machte keine Anstalten, sie leiser zu drehen, sondern kam einfach aus dem Badezimmer heraus und blieb in der größtmöglichen Entfernung zu ihm stehen, die in dem engen Zimmer möglich war.

„Was machen Sie hier?“

„Das Gleiche könnte ich dich fragen.“ Tegan ließ den Blick in ihrem armseligen Quartier umherschweifen, wenn auch nur, um sie in ihrem praktisch nackten Zustand nicht anzusehen.

„Was für eine miese Wohnung du hast. Wer ist dein Innenarchitekt?“

Sie antwortete ihm nicht. Ihre blassen, amethystfarbenen Augen waren unablässig auf ihn gerichtet. So als traute sie ihm nicht, als machte es sie nervös, mit ihm allein zu sein. Wer konnte ihr das verdenken?

Tegan war sich darüber im Klaren, dass die meisten Bewohner der Dunklen Häfen wenig für die Mitglieder des Ordens übrighatten. Die behütete Klasse der Zivilisten, der auch Elise angehörte, hatte ihn schon oft als eiskalten Killer bezeichnet - nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hätte, schließlich beruhte sein persönlicher Ruf auf Tatsachen. Aber während ihn nicht die Bohne interessierte, was andere von ihm dachten, ärgerte es ihn doch, dass Elise ihn nun so ängstlich ansah. Als er ihr zuletzt begegnet war, war er ihr gegenüber einfach nur freundlich gewesen, hatte der jungen Witwe Achtung gezollt, aus Respekt vor dem, was sie gerade durchmachte. Dass sie außerdem noch eine atemberaubende Schönheit war, zerbrechlich wie eine Eisblume, hatte durchaus auch damit zu tun.

Etwas von dieser Zerbrechlichkeit hatte sie nun abgelegt, bemerkte Tegan, dem nicht entging, dass die Muskeln an ihren nackten Waden und Armen inzwischen ausgeprägter waren. Ihr Gesicht war immer noch wunderschön, aber nicht mehr so voll, wie er es in Erinnerung hatte. In ihren Augen lag immer noch dieselbe lebhafte Intelligenz, aber sie hatten aufgehört zu strahlen. Die dunklen Ringe unter ihren üppigen Wimpern unterstrichen nur ihre Erschöpfung.

Und ihr Haar … du lieber Himmel, sie hatte sich ihre lange blonde Mähne abgeschnitten. Von der Kaskade von gesponnenem Gold, die ihr früher bis zu den Hüften gefallen war, war nur noch ein stacheliger Schopf übrig geblieben, der ihr in elfenhafter Unordnung um den Kopf stand und das schmale Oval ihres Gesichtes einrahmte.

Sie sah immer noch absolut umwerfend aus, aber auf eine völlig andere Art, als sich Tegan je hätte vorstellen können.

„Du hast da was in der Gasse liegen lassen.“ Er hielt ihr das gefährliche Jagdmesser entgegen. Als sie Anstalten machte, es ihm abzunehmen, zog er es aus ihrer Reichweite. „Was hast du heute Nacht da draußen gemacht, Elise?“

Sie schüttelte den Kopf und sagte etwas, zu leise, als dass er es in dem Höllenkrach, der ihre Wohnung erfüllte, hätte hören können. Ungeduldig schaltete Tegan mit einem mentalen Befehl die Stereoanlage ab und sah schon den Fernseher an, um auch ihn zum Verstummen zu bringen.

„Nein!“ Elise schüttelte den Kopf, verzog schmerzerfüllt das Gesicht und presste die Hände an die Schläfen. „Warten Sie - lassen Sie es an, bitte. Ich brauche … der Lärm tut mir gut.“

Tegan sah sie finster an. Seine Skepsis stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber er ließ den Fernseher an. „Was ist heute Nacht mit dir passiert, Elise?“

Sie blinzelte, ihr Blick verschloss sich, schweigend senkte sie den Kopf.

„Hat dir jemand da draußen wehgetan? Bist du angegriffen worden, noch bevor die Rogues dich in der Gasse entdeckt haben?“

Ihre Antwort ließ lang auf sich warten. „Nein. Ich bin nicht angegriffen worden.“

„Willst du mir erklären, wie all das Blut auf deinen Anorak gekommen ist? Oder warum du in einer Gegend wohnst, wo du es für nötig befindest, diese Art von Ausrüstung mit dir rumzutragen?“

Sie vergrub das Gesicht in den Händen, ihre Stimme war ein raues Flüstern. „Ich will überhaupt nichts erklären. Bitte, Tegan.

Ich wünschte, Sie wären nicht hergekommen. Bitte … Sie müssen jetzt gehen.“

Er stieß ein unfreundliches Lachen aus. „Ich hab dir eben deinen kleinen Arsch gerettet, Frau. Da ist es doch nicht zu viel verlangt, dass du mir erklärst, warum das nötig war.“

„Es war ein Fehler. Ich hatte nicht vor, im Dunklen draußen unterwegs zu sein. Ich weiß, wie gefährlich das ist.“ Sie sah auf und zuckte mit einer schmalen Schulter. „Es hat alles nur …

etwas länger gedauert als erwartet.“

Was hat länger gedauert?“, fragte er. Ihm gefiel nicht, welche Richtung das Gespräch nahm. „Wir reden hier nicht von einem Einkaufsbummel oder einem Kaffeekränzchen mit Freundinnen, oder?“

Tegans Blick schweifte zurück zur Küchenablage, zu dem ihm wohlvertrauten Modell des Handys, das dort lag. Er runzelte die Stirn, ein Verdacht regte sich in Ihm, als er hinging und es aufhob. Von diesen Dingern hatte er in der letzten Zeit eine Menge gesehen. Es war eines dieser Kartenhandys, wie sie von Menschen benutzt wurden, die für die Rogues arbeiteten. Er drehte es um und deaktivierte den eingebauten GPS-Chip.

Tegan wusste, wenn er das Handy mit ins Techniklabor des Hauptquartiers nahm, würde Gideon herausfinden, dass es nur eine einzige, mehrfach verschlüsselte Nummer enthielt, der Code unmöglich zu knacken. Dieses spezielle Handy war mit menschlichem Blut bespritzt. Demselben Zeug, das auch die Vorderseite von Elises Anorak durchtränkte.

„Wo hast du das her, Elise?“

„Ich denke, das wissen Sie“, erwiderte sie, ihre Stimme ruhig, aber trotzig.

Er drehte sich um, um sie anzusehen. „Du hast es einem Lakaien abgenommen? Ganz allein? Du lieber Himmel … wie?“

Sie zuckte mit den Schultern und rieb sich eine Schläfe, als hätte sie Schmerzen. „Ich habe ihn vom Bahnhof aus verfolgt, und als sich eine Gelegenheit bot, habe ich ihn getötet.“

Tegan war ein Mann, den so leicht nichts überraschte. Aber diese Worte aus dem Mund dieser zierlichen jungen Frau trafen ihn mit der Wucht eines Ziegelsteins. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“

Aber es war ihr Ernst. Der Blick, den sie ihm zuwarf, ließ daran keinerlei Zweifel bestehen.

Hinter ihr auf dem Fernsehbildschirm blitzte eine Live-Nachrichtenübertragung auf. Ein Reporter kam ins Bild und berichtete, dass man vor wenigen Minuten das Opfer einer Messerstecherei aufgefunden hatte: „… das Opfer wurde nur zwei Häuserblocks hinter dem Bahnhof gefunden. Die Behörden sprechen mittlerweile von einer Mordserie …“

Als die Reportage weiterging und Elise ihn über den Raum hinweg ruhig ansah, begann Tegan zu begreifen, und das Blut in seinen Adern wurde kalt.

„Du?“, fragte er, doch die Antwort wusste er bereits, so unglaublich sie auch war.

Als Elise nicht antwortete, ging Tegan mit wenigen Schritten zu einer Truhe hinüber, die neben dem Futon auf dem Boden stand. Er riss sie auf und fluchte, als sein Blick das umfangreiche Waffenarsenal erfasste: Messer, Handfeuerwaffen und Munition.

Vieles davon war noch brandneu, aber die meisten Stücke trugen offensichtliche Gebrauchsspuren.

„Wie lange, Elise? Wann hast du diesen Wahnsinn angefangen?“

Sie starrte ihn an, ihr schmales Kinn entschlossen vorgereckt.

„Die Rogues haben meinen Sohn auf dem Gewissen. Sie haben mir alles genommen, was ich je geliebt habe“, sagte sie schließlich. „Ich konnte nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Ich werde nicht einfach nur herumsitzen.“

Tegan hörte die Entschlossenheit in ihrer Stimme, aber deshalb war er nicht weniger wütend über das, was hier vorging.

„Wie viele?“

Der von heute Abend war mit Sicherheit nicht der Erste gewesen.

Für eine sehr lange Zeit sagte sie nichts. Dann ging sie langsam hinüber zum Bücherregal und kniete sich hin, um einen Plastikcontainer mit Deckel vom untersten Regalbrett hervorzuziehen. Ihren Blick auf Tegan gerichtet, nahm sie den Deckel ab und legte ihn auf den Boden.

In der Plastiktruhe waren die Handys von Lakaien.

Mindestens ein Dutzend von den Dingern.

Tegan ließ sich schwer auf den Futon fallen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Heiliger Strohsack, Frau. Hast du deinen verdammten Verstand verloren?“

Elise fuhr sich mit der Handfläche über die Stirn, versuchte, das schmerzhafte Pulsieren zu lindern, das in ihrem Kopf anschwoll. Der Migräneanfall kam jetzt schnell, und es war einer von den wirklich üblen. Sie schloss die Augen und hoffte, das Schlimmste abwenden zu können. Schlimm genug, dass sie heute Abend entdeckt worden war; sie brauchte jetzt nicht auch noch die Demütigung eines psychischen Zusammenbruchs, der sie völlig außer Gefecht setzen würde. Ganz zu schweigen davon, dass in ihrem Wohnzimmer ein Stammeskrieger saß, mit dem sie fertig werden musste.

„Hast du auch nur eine Ahnung davon, was du da eigentlich machst?“ Tegans Stimme, obwohl ruhig und außer einer Spur von Ungläubigkeit völlig ausdruckslos, dröhnte in Elises Kopf wie ein Kanonenschuss. Mit der Schachtel voller Handys begann er im hinteren Teil der kleinen Wohnung auf und ab zu gehen.

Der Klang seiner schweren Stiefel auf dem schmuddeligen Teppichboden knirschte in ihren Ohren. „Was um alles in der Welt hast du vor, Frau - willst du dich unbedingt umbringen lassen?“

„Das verstehen Sie nicht“, murmelte sie durch das Trommeln des Schmerzes hinter ihren Augen. „Das … können Sie einfach nicht verstehen.“

„Dann erklär’s mir.“ Die Worte waren kurz angebunden und scharf. Der Befehl eines mächtigen Mannes, der Gehorsam gewohnt war.

Langsam richtete sich Elise aus der knienden Position neben dem Regal auf und ging in die andere Zimmerecke hinüber.

Jeder Schritt kostete sie Mühe, was sie ihm gegenüber mit aller Kraft zu verbergen versuchte. Erleichterung kam erst, als sie sich mit dem Rücken an die Wand lehnen konnte, um den Halt zu finden, den sie dringend brauchte. Sie sackte gegen die schallisolierte Gipskartonplatte und wünschte sich, Tegan wäre fort, damit sie ungestört zusammenbrechen konnte.

„Das geht nur mich etwas an“, sagte sie und wusste, dass er vermutlich hören konnte, wie schwer ihr inzwischen das Atmen fiel. „Es ist was Persönliches.“

„Verfickt und zugenäht, Elise. Das ist Selbstmord.“

Sie verzog das Gesicht, an obszöne Sprache war sie nicht gewöhnt. Quentin hatte in ihrer Gegenwart nie etwas Kräftigeres geäußert als ein gelegentliches Verdammt, und selbst das nur in außergewöhnlichen Fällen, wenn er frustriert war, über die Agentur oder die restriktive Politik der Dunklen Häfen. Er war in jeder Hinsicht ein perfekter Gentleman gewesen und von sanftem Charakter, obwohl sie wusste, dass er als Stammesvampir über unermessliche Kraft verfügte.

Tegan war ein roher, tödlicher Kontrast zu ihrem toten Gefährten - er war einer von denen, die sie als Mündel der Dunklen Häfen schon von klein auf zu fürchten gelernt hatte.

Quentin und die Agentur, die mächtige Verwaltungsinstitution des Stammes, für die er gearbeitet hatte, betrachteten den Orden als gefährliche, unberechenbare, paramilitärische Einheit. Für viele Bewohner der Dunklen Häfen waren die Krieger schlichtweg eine Rotte roher Schlägertypen, die mit einem Fuß noch im Mittelalter standen und ihren Zweck als Verteidiger des Vampirvolkes schon längst überlebt hatten. Sie kannten keine Gnade; manche sagten auch, die Stammeskrieger dachten, dass sie über dem Gesetz ständen. Obwohl Tegan ihr heute Abend das Leben gerettet hatte, konnte sich Elise nicht des Gefühls erwehren, dass sie sich vor ihm in Acht nehmen musste. Als liefe in ihrer Wohnung ein wildes Tier frei herum.

Sie sah zu, wie er seine riesigen Pranken in die Schachtel voller Lakaienhandys grub und hörte das Klappern von Plastik und das Scharren von poliertem Metall, als er ihre Kollektion inspizierte.

„Die GPS-Chips sind schon alle deaktiviert.“ Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Du weißt, wie man die ausschaltet?“

Sie nickte schwach. „Ich habe einen Sohn im Teenageralter“, erwiderte sie und verzog das Gesicht, sobald die Worte ihren Mund verlassen hatten. Gott, es kam immer noch automatisch, noch immer dachte sie an ihn, als sei er am Leben. Besonders in Momenten wie diesem, wenn ihr Körper von der Wucht ihrer übersinnlichen Wahrnehmung erschöpft und geschwächt war.

„Ich hatte einen Sohn im Teenageralter“, berichtigte sie ruhig.

„Camden hatte es nicht gern, wenn ich kontrollieren konnte, wohin er ging, also hat er meistens das GPS an seinem Handy abgeschaltet, wenn er ausging. Ich habe gelernt, wie ich es wieder aktivieren konnte, aber er hat es immer gemerkt und wieder abgeschaltet.“

Tegan machte ein Geräusch hinten in der Kehle, tief und unbestimmt. „Wenn du diese Ortungsgeräte nicht abgestellt hättest, stünden die Chancen gut, dass du inzwischen tot wärst.

Extrem gut - todsicher. Derjenige, der die Lakaien gemacht hat, die du gejagt hast, hätte dich gefunden. Und wozu er fähig ist, willst du lieber nicht wissen.“

„Ich habe keine Angst vor dem Tod …“

„Tod“, knurrte Tegan und fiel ihr mit einem scharfen Fluch ins Wort. „Der Tod wäre das kleinste deiner Probleme, Frau, das kannst du mir glauben. Vielleicht hattest du Glück mit ein paar unvorsichtigen Lakaien, aber wir sind im Krieg, und du legst dich hier mit Leuten an, die ein paar Nummern zu groß für dich sind. Was heute Abend passiert ist, sollte dir Beweis genug sein.“

„Was heute Abend passiert ist, war ein Fehler, den ich in Zukunft nicht mehr machen werde. Ich bin zu spät am Nachmittag ausgegangen und habe zu lange gebraucht. Nächstes Mal werde ich sichergehen, dass ich vor Einbruch der Dunkelheit fertig und zu Hause bin.“

„Nächstes Mal.“ Tegan bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Lieber Himmel, das meinst du wirklich ernst.“

Für einen langen Augenblick starrte der Krieger sie nur an.

Seine unbewegten smaragdgrünen Augen verrieten nichts, die Furchen jahrelanger Selbstbeherrschung in seinem Gesicht gaben nichts von seinen Gedanken und Gefühlen preis. Schließlich schüttelte er den struppigen Kopf und drehte sich um, um die Kollektion der Lakaienhandys aufzusammeln. Als er sie in seine Manteltaschen stopfte, ließen seine abgehackten Bewegungen ein beeindruckendes Sortiment von Waffen aufblitzen, die er unter den Falten seines schwarzen Ledermantels trug.

„Was haben Sie vor?“, fragte Elise, als auch das letzte Lakaienhandy in einer seiner tiefen Innentaschen verschwand. „Sie werden mich doch nicht ausliefern, oder?“

„Das sollte ich allerdings, verdammt noch mal.“ Sein harter Blick streifte sie verächtlich. „Aber was du tust, geht mich nichts an, solange du mir nicht in die Quere kommst. Und erwarte nicht, dass dir der Orden auch nächstes Mal zu Hilfe eilt, wenn dir die Situation über den Kopf wächst.“

„Das werde ich nicht. Ich meine, ich … erwarte nichts.“ Sie sah zu, wie er auf die Tür zuging, und spürte eine Welle der Erleichterung darüber, dass sie bald allein sein würde, um gegen die Flutwelle von Schmerz anzukämpfen, die allmählich zu einem Brüllen anschwoll. Als der Krieger die Tür öffnete und in den heruntergekommenen Hausflur hinaustrat, nahm Elise alles zusammen, was noch von ihrer Stimme übrig war. „Tegan, ich danke Ihnen. Das hier ist nur … etwas, das ich tun muss.“

Sie verstummte und dachte an Camden, und all die anderen Jugendlichen aus den Dunklen Häfen, die dem Gift der Rogues verfallen waren und ihr Leben verloren hatten. Selbst Quentins Leben war durch einen Stammesvampir abgekürzt worden, der zum Rogue mutiert war und ihn angefallen hatte, als er gerade mit der Aufsicht der Agentur beschäftigt war.

Elise konnte keines der verlorenen Leben zurückbringen, das wusste sie. Aber jeden Tag, den sie auf der Jagd war, jeder Lakai, den sie eliminierte, bedeutete eine Waffe weniger im Arsenal der Rogues. Der Schmerz, den sie bei dieser Aufgabe ertragen musste, war nichts im Vergleich dazu, was ihr Sohn und seine Freunde hatten erdulden müssen. Der eigentliche Tod bestand für sie darin, zu einem untätigen Leben im Schutz der Dunklen Häfen verdammt zu sein und nichts zu tun, während sich die Straßen vom Blut der Unschuldigen röteten.

Das war es, was sie nicht ertragen konnte.

„Es ist mir wichtig, Tegan. Ich habe ein Versprechen gegeben. Und ich habe vor, es zu halten.“

Er blieb stehen und warf einen ausdruckslosen Blick über die Schulter. „Es ist deine Beerdigung“, sagte er und zog die Wohnungstür hinter sich zu.

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